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„Ein Egoismus der andere mitnehmen kann, ist ein gutes Prinzip“

PETER SCHUBERT — Mitinitiator und Mitbewohner der Strese 100, erzählt in seinem Interview mit Cris Sebiger-Bertram von 16 Jahren intensiver Auseinandersetzung, Planung und der Idee eines geteilten Lebensraums mitten im Herzen Hamburgs…

Wie bist Du auf die Idee gekommen — Mitgestalter eines Wohnprojekts zu werden?

Während meines Studiums verfolgte ich aufmerksam die ganze Hausbesetzerszene aus Hamburg. Am Anfang wurden alte Häuser besetzt, aber irgendwann organisierten sich Gruppen und man plante eigene Neubauprojekte. Der Drachenau in St. Georg machte in Hamburg den Anfang. Ich fand diese Art zu wohnen und sich selbst zu organisieren ziemlich gut — das wollte ich auch. Als ich von Berlin nach Hamburg den Studienplatz gewechselt habe, bin ich, mit zwei weiteren Freunden,
dieser Idee relativ schnell nachgegangen und wir haben uns für die ersten Grundstücke beworben. Ab da hat es dann Eigendynamik bekommen.

Von der Idee bis zum Einzug — wie lange hat es
gedauert?

16 Jahre — das Nadelöhr ist meist die Grundstückssuche.
Wenn man unabhängig bleiben will und keine sozialen Töpfe aufmacht, muss man einfach einen langen Atem haben.

Dieses Projekt entstand in Zusammenarbeit mit dem Architektenbüro Hartfil— Steinbrinck, wie kann ich mir diese Zusammenarbeit vorstellen?

Ich arbeitete mit Esther damals zusammen in einem Büro. Irgendwann erzählte sie mir, dass ihr Mann Ingo eben ein solches Wohnprojekt gerade realisiert hatte. Das war für mich insofern interessant, da ich die komplette Planung auf keinen Fall alleine machen wollte und Unterstützung
suchte. Teamarbeit ist oft fruchtbarer und ich fand auch gut, dass Esther außerhalb der „Interessengruppe“ war. Somit war meine Aufgabe eher die Koordination innerhalb der Gruppe und Esther konzentrierte sich darauf die Bedürfnisse architektonisch und natürlich im finanziellen Rahmen zu berücksichtigen. Diese Konstellation war wirklich sehr inspirierend und ich denke, wir haben viel gegenseitig voneinander lernen können. Das gute Ergebnis bestätigt das ja.

Hat sich das Konzept des Gebäudes auch über die Zeit bewährt?

Es funktioniert anders als wir es uns vorgestellt haben — aber der Plan
ging auf und jetzt füllen wir es mit Alltag 😉

Was würdest Du aus heutiger Sicht anders machen?

Kleinigkeiten — nichts was nicht heilbar wäre. Ein Wasserhahn im Vorgarten, eine Tür mehr im Saunavorraum …

Ist das Leben in Gemeinschaft das Leben der Zukunft?

Menschen sind in erster Linie unterschiedlich. Ich habe während meines Studiums in Berlin gerne in meinem Hinterhof gelebt, wo mich keiner kannte. Jedes Ding hat seine Zeit. Wohnprojekte haben gegenüber Eigentümergemeinschaften echte Vorteile, denn es ist von Anfang an ein offenes Spiel. Man plant gemeinsam und versucht die Unterschiedlichkeiten der Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen. Dennoch sind und bleiben wir eine Gemeinschaft von Individualisten 😉

Die Genossenschaften haben schlussendlich die Nazizeit und die DDR überstanden und ich halte sie für krisensicher. Das Gemeinschaftliche ist und war immer schon gesellschaftlich wichtig und das wird gerne mal vergessen.

Der Egoismus, der andere mitnehmen kann, ist ein gutes Prinzip. Es ist sicher die stabilste Form im Miteinander, da alle etwas davon haben. Der Eigennutz war für mich immer eine Motivation — alles andere zu behaupten wäre gelogen. Somit ist für mich auch okay, dass hier viel
Arbeit darin steckt, die monetär gar nicht aufrechenbar ist.

 

 

Was ist für Dich persönlich der Anreiz von miteinander Leben?

Das ist in erster Linie mein Zuhause geworden, ich fühle mich wohl hier und ich bin nicht alleine. Wir sind als Gemeinschaft zusammen gewachsen, mit dem einen mehr mit dem anderen weniger. Die meisten leben von Anfang an hier.

Was heißt „sich zu Hause fühlen“?

Angekommen zu sein. Ich suche nichts mehr und ich kann mir auch gar nicht vorstellen irgendwo
anders zu leben.

Ich fühle mich mit der Strese 100 natürlich besonders verbunden, weil ich es mit initiiert habe.

Was ist das Besondere an der Strese 100?

Jedes Wohnprojekt ist unterschiedlich. Besonders an der Strese 100 ist die zentrale Lage und natürlich die Zusammensetzung der Individuen die hier leben. Wir haben innerhalb unserer Genossenschaft festgestellt, es gibt ein Familienprojekt, wir sind eher das von Männern geleitete Projekt und das Mutterhaus wird mehr von Frauen gemacht. Ich fühle mich mit der Strese 100 natürlich besonders verbunden, weil ich es mit initiiert habe.

Mitgegangen mitgefangen — zehn Punkte, die man wissen sollte, wenn man ein Wohnprojekt plant.

Es kostet Geld und es ist ein Schritt in die Verantwortung.
Es ist Arbeit und das langfristig. Das war mir bei der Planung auch nicht bewusst — solange man hier lebt, gibt es einfach immer etwas zu tun.
Es ist schön, weil man ankommen kann, aber sicher nicht konfliktfrei.
Gerade am Anfang werden die Reviere abgesteckt, aber das gehört dazu. Daraus entwickelt sich die Einsicht, dass es gar keinen Sinn ergibt sich zu streiten. Dauerhafte Konfrontation bringt einen nicht weiter. Das ist wie in einer Beziehung, man darf die anderen nicht verändern wollen. Schlussendlich ist die Idee ja die, etwas zu schaffen, wovon alle etwas von haben.

Können diese Räume inspirieren? Was inspiriert Dich?

Dadurch, dass wir hier eng Tür an Tür leben, wird man zwangsläufig mit anderen Lebensmodellen konfrontiert. Hier findet man einfach weit mehr als eine klassische 9 to 5 Lebensstrategie. Manche Wege finde ich mutig, weil sie sich auf ein Minimum der finanziellen Absicherung reduzieren. Das finde ich sehr inspirierend und man kann sich da sicher, die eine oder andere Scheibe abschneiden.

Ein Blick in die Zukunft — wie lebt es sich 2030 hier?

Das ist eine gute Frage. Ich frage mich schon angesichts der biologischen Uhr, wie dieses Projekt weiter läuft. Das Haus wird uns aller Wahrscheinlichkeit nach überleben, wir können es ja nicht mit ins Grab nehmen. Es müssen also zwangsläufig irgendwann die „Jüngeren“ nachziehen.

Ich glaube — 2030 lebt es sich gemütlich wie eh und je — und dass auch die Nachzügler hier Ihren Platz finden werden.

 

Ein gelungenes Projekt
— danke Peter

PETER SCHUBERT
geb. in: Uetersen
alter: 53
beruf: Architekt
lebensmotto: ändert sich immer mal

 


 

interview by cris sebiger-bertram | aug, 2018