Kunst im Lift— oder die Kunst des gemeinsamen Lebens
Für die Künstlerin SABINE KULLENBERG, A.F.I.Gründerin, ist Kunst immer ein Mittel um Bewusstseinsarbeit
anzuregen. Das diese Gedanken nicht, vor der eigen Haustür halt machen versteht sich fast von selbst und somit hat sie sich auch in dem Wohnprojekt Strese 100 ihren ganz besonderen Schaffensraum geschaffen — der Kunstlift …
Mir gefiel der neue Gedanke, eine kleine Wohnung in einem gemeinschaftlichen Projekt zu haben: Autark und trotzdem Gemeinschaft
Leben in der „Strese 100“ — was hat Dich bewegt hier einzuziehen?
Das hat sich mehr oder weniger durch den Zufall ergeben. Ich habe mit Peter in einer Tanzgruppe
Swing getanzt. Er hat mir viel über sein Vorhaben, an der Stresemannstraße ein Wohnprojekt
zu starten, erzählt und irgendwann habe ich ihn gefragt, ob ich dafür nicht auch passen würde.
Grundsätzlich fand und finde ich die Idee des Zusammenlebens immer schon gut. Ich hatte mir zuvor
viele Land-WGs angesehen und begriffen, dass ich weder aus der Stadt wollte noch in so einer
wirklichen Enge auf dem Land mit anderen zusammen leben. Mir gefiel der neue Gedanke, eine
kleine Wohnung in einem gemeinschaftlichen Projekt zu haben: Autark und trotzdem in Gemeinschaft.
Eine Art Homebase zu haben, um somit frei zu sein für künstlerische Projekte im Ausland.
Dieses Projekt wurde nach langer Vorplanung vor zehn Jahren in Zusammenarbeit mit dem Architektenbüro Hartfil/ Steinbrinck realisiert. Hat sich
aus Deiner Sicht das entwickelte Konzept des Gebäudes auch über die Zeit bewährt?
Ich habe viel darüber nachgedacht, ob eine andere Art von Architektur vielleicht gemeinschaftsfördernder wäre. Wenn ich mir vorstelle, es gäbe in der Mitte ein Gemeinschaftsgebäude und drum herum die Wohneinheiten, wäre das Zusammenleben
bestimmt anders. Die Architektur prägt eben auch eine gewisse Isolation. Das empfinden aber nicht alle gleich und ich bin mir auch nicht sicher, wie viel Gemeinschaft ich schlussendlich aushalten würde …oder was davon eigentlich Traum ist. In der mit ältesten Wohngemeinschaft in der Hamburger Ludwigstraße wird jeden Abend zusammen gegessen. Zwanzig Leute an einem langen Tisch finde ich schön, aber ich weiß nicht, wie das für mich wäre, wenn ich jeden Abend diese Art von Verbindlichkeit hätte? Ich habe hier mal versucht, vierteljährlich alle an einen Tisch zu bekommen, es dann aber mangels Interesse irgendwann einschlafen lassen. Hier leben wirklich sehr unterschiedliche Menschen zusammen und es ist nicht einfach, alle unter einen Hut zu bekommen.
Ich denke ich war zu enthusiastisch und habe mir, was die Gemeinschaft
betrifft, mehr vorgestellt…
Was würdest Du aus heutiger Sicht anders machen?
Ich würde meine Erwartungen herunterschrauben. Ich denke ich war zu enthusiastisch und habe
mir, was die Gemeinschaft betrifft, mehr vorgestellt, aber das ist auch ein wenig mein Naturell,
schnell zu viel zu wollen.
Was ist für dich der Anreiz von miteinander leben?
Es gab für mich durchaus auch einen niedrigschwelligen, politischen Anspruch. Ich lebe hier z.B. in einer der Sozialwohnungen, die kleinste innerhalb dieses Projektes, weil ich mir eine größere Wohnung gar nicht leisten kann. Generell ist es wichtig, dass Menschen, die nicht so viel Geld haben, auch einen Lebensraum in der Stadt finden. Eine gesunde Gesellschaft ist immer ein Mix aus vielen und jede einseitige Prägung ist und war schon immer ungesund.
Inwieweit warst oder bist Du hier Mitgestalterin?
Ich bin bei der Wohnreform eingestiegen und war vier Jahre Aufsichtsrätin. Mir war es wichtig,
sich in dieser Genossenschaft zu engagieren. Ich werde das auch wieder tun, ich brauchte nur
gerade eine Pause.
Zudem habe ich einen kleinen gemeinnützigen Kunstverein gegründet und hier im Haus ein Kunstprojekt
den – „Kunstlift“ – ins Leben gerufen und monatliche Ausstellungen kuratiert. Im Moment gibt´s das jedoch nur noch sporadisch.
Sich seinen Raum nehmen— wie finden denn die anderen
Mitbewohner deine Idee von Kunst im Raum?
Ich habe den Eindruck, dass diese „Projekte“ manchen einfach zu nahe rückt. Auch wenn der Kunstlift nur ein Pop-Up-Ding über fünf Stunden war, so bedeutet das, dass man z. B. den Lift nicht benutzen kann, fremde Menschen halten sich im Hausflur auf — das kann manch eine beunruhigen. Es ist schon eine Gratwanderung, wenn man es gut machen will und erfordert gegenseitige Toleranz. Meine aktuellen Projekte sind einmal die Punkte an der Wand, die aber aus meiner Arbeit mit Schülern entstanden sind und ich habe angefangen, Menschen aus dem Haus mit einem negativen und einem positiven Gefühl zu porträtieren. Ein paar Porträts hängen oder stehen schon im Treppenhaus. Die Arbeit mit den Punkten war im Grunde eine Art von Vorarbeit für die Porträts, es geht thematisch um das bewusst machen und die Darstellung von Gefühlen.
Ich denke, ich habe inzwischen mit meinen Aktionen und Projekten im Haus ein ganz gutes „standing“— aber es hat schon auch eine Weile gedauert. 😉
Wie viel Gemeinschaft darf es denn sein, bitte?
Mitgegangen mitgefangen — was sollte man wissen, wenn man ein Wohnprojekt plant?
Man soll sich verdeutlichen, dass Ängste und unterschwellige Ängste eine große Rolle spielen. Wir leben in einer heftigen Konkurrenz- und Konsumgesellschaft und warum sollte das aufhören, wenn man gemeinsam ein Projekt plant. Gerade in der Anfangszeit war es sehr geprägt von Ängsten: Angst, dass einem etwas genommen wird; Angst, dass man nicht genug Raum für sich hat. Angst vor Nähe … Abgrenzung ist ein Thema.
Ich denk, in unserem Fall ist oder war es schwierig, weil wir, außer dass wir gemeinsam in einen Haus wohnen, kein gemeinsames Thema haben. In einem politischen Wohnprojekt haben die Mitbewohner über das Wohnen hinaus einen gemeinsamen Nenner, etwas wofür sie kämpfen möchten aus Überzeugung … das schweißt natürlich ganz anders zusammen. Bei uns kommt der Gemeinschaftssinn
eher etwas kurz, aber wenn dann mal etwas zustande kommt, ist es meist sehr schön. Wir haben sogar mal eine kleine gemeinsame Reise gemacht und auch die Organisation unseres 10-Jahres-Festes war ein sehr gelungenes und harmonisches gemeinsames Projekt.
Also— wer ein solches Wohnprojekt starten möchte, sollte das einfach im Vorfeld abfragen: Wie viel Gemeinschaft darf es denn sein, bitte???
Ich denke heute, dass zu viel Fordern kontraproduktiv ist— etwas Gelassenheit und Geduld ist viel effektiver. Man verbrennt sonst einfach zu viel unnötige Energie und bekommt auch keine Lorbeeren dafür.
Was ist das besondere für Dich an der Strese 100?
Die Straße ist wegen der Feinstoffbelastung und dem Verkehr vor der Tür nicht schön, aber das Leben mitten in der Stadt ist toll. Dass wir es mit dieser Unterschiedlichkeit von Menschen hinbekommen haben, hier seit zehn Jahren gemeinsam zu leben, freut mich. Das ist ein spannender gemeinsamer Prozess und wir werden immer besser.
Ein Blick in die Zukunft — wie lebt es sich 2030 hier?
Uhhhh, da bin ich ja richtig alt. Ich denke wir sind mit unseren Distanzen noch ein wenig enger aneinander gewachsen. Es werden Menschen sterben und wohl neue dazukommen. Aber ich denke, dass es immer schöner wird.
Für mich hoffe ich, dass ich bis dahin noch viel schöne Projekte im Ausland habe und zudem genug Energie — hier immer mal wieder ordentlich „Dampf reinzubringen“ 😉
das ist doch ein schöner Schlussgedanke—
danke Sabine
SABINE KULLENBERG
geb. in : Herne im Ruhrpott
alter: 61
beruf: Küstlerin
http://kunstlift.de